Das Wohngebiet Giebel wurde Anfang der 1950er Jahre als Stadtteil von Stuttgart-Weilimdorf geplant und erschlossen. Zunächst wurde von der „Stadt am Bergheimer Hof“ gesprochen, erst in den folgenden Jahren wurde zwischen der „Landsiedlung Bergheim“ (das Gebiet südlich der Engelbergstraße) und der „Wohnstadt Giebel“ (das Gebiet nördlich der Engelbergstraße) unterschieden. Auch heute noch werden diese beiden Stadtteile von den Bewohnerinnen und Bewohnern nicht eindeutig getrennt voneinander wahrgenommen, auch wenn schon 1961 die offiziellen Stadtteilbezeichnungen „Giebel“ und „Bergheim“ eingeführt wurden. Die Bewohnerinnen und Bewohner selbst bezeichnen ihren Stadtteil als „den Giebel“. Die Erschließung neuer Wohngebiete war für die Stadt Stuttgart in den Nachkriegsjahren notwendig geworden, denn nach der Zerstörung von Städten im Krieg und Flucht und Vertreibungen aus den ehemaligen Ostgebieten waren viele Einheimische und Flüchtlinge in dieser Zeit auf der Suche nach einer Wohnung. Es war zunächst vorgesehen, dass im Giebel 10.000 Wohnungssuchende unterkommen sollten.
Der Bebauungsplanentwurf für den Giebel wurde 1953 vorgelegt. Auf dieser Grundlage konnten die Bauträger – vor allem Baugenossenschaften wie „Neues Heim eG“, der Bau- und Heimstättenverein Stuttgart eGmbH, die Flüchtlings-Wohnbaugenossenschaft oder die Baugenossenschaft Feuerbach-Weilimdorf – anfangen zu planen und zu bauen. Die Bauarbeiten an den ersten Gebäuden begannen Ende 1953, im Oktober 1954 zogen die ersten Mieter ein.
Der Giebel wurde nach dem in den 50er Jahren sehr populären Leitbild der „gegliederten und aufgelockerten Stadt“ geplant. Seine Entstehung als „Großstadt im Kleinen“ wurde in der Öffentlichkeit mit großer Aufmerksamkeit verfolgt, die Reaktionen auf die im Grünen entstehende Wohnstadt waren skeptisch. Die Stuttgarter Zeitung titelte beispielsweise am 28. September 1954: „Klein-Chicago im Strohgäu beim Solitude-Wald.“ Und im Untertitel hieß es: „Bestürzende Ansichten und Aussichten – Die Landschaft sträubt sich gegen riesige Wohnblöcke“. Diesen Ansichten zum Trotz wurden die Wohnblöcke in Giebel in den Anfangsjahren rasch bezogen.
Der Großteil der Wohngebäude des heutigen Stadtteils Giebel wurde bis zum Ende der 50er Jahre fertiggestellt. Die Eigenheime östlich der Giebelstraße – am Sandbuckel und an der Hartwiese – wurden von der Eigenheimbaugenossenschaft der Polizeibeamten erstellt, man nannte diesen Teil auch die „Polizeisiedlung“. Die Eigenheime westlich der Giebelstraße wurden von verschiedenen Privatleuten gekauft und bewohnt.
Seinem Charakter als Trabantenstadt – als Vorort einer Stadt, der über die komplette oder wesentliche Teile der Infrastruktur einer Stadt verfügt – konnte der Giebel ab Ende der 1950er Jahre voll gerecht werden, denn zu diesem Zeitpunkt wurden die ersten Geschäftshäuser am Ernst-Reuter-Platz fertiggestellt. Seither bildet der Ernst-Reuter-Platz das infrastrukturelle Zentrum des Stadtteils Giebel. Hier befinden sich mehrere Supermärkte, Banken, Apotheken, Schreibwaren- und Toto-Lottoläden, Bäckereien und Metzgereien sowie Allgemeinärzte und Fachärzte. Durch die zahlreichen Angebote hatte der Ernst-Reuter-Platz von Anfang an einen Ortskerncharakter für den Giebel.
Auch die weitere infrastrukturelle Ausstattung von Giebel ist noch in den 50er Jahren geplant und gebaut worden. Im Oktober 1956 fand die Grundsteinlegung für die katholische Salvatorkirche statt, am 20. November 1957 wurde sie geweiht. Die Kirche weist mehrere Besonderheiten auf: Zum einen erinnern sieben kleine Fenster in ihr an die Herkunftsländer der Gemeindemitglieder, zum anderen erhielt das Dach der Kirche eine außergewöhnliche Wellenform. Anfangs waren nicht alle Gemeindemitglieder vom Wellendach begeistert, doch mit den Jahren wuchs die Zustimmung. Mittlerweile ist die Salvatorkirche als einziges Gebäude im Giebel unter Denkmalschutz gestellt. Auch den katholischen Kindergarten gibt es seit Ende der 50er Jahre. Mit dem Bau des evangelischen Gemeindezentrums mit Kirche, Gemeindesaal, Kindergarten und Pfarrhäusern wurde 1956 begonnen, 1958 wurde die Stephanuskirche fertiggestellt. Von großer Wichtigkeit für die Anbindung von Giebel an die Gesamtstadt Stuttgart war von jeher der Straßenbahnanschluss. Dieser existierte als Verbindung von Feuerbach über Weilimdorf nach Gerlingen schon seit 1929, der Giebel lag direkt an der Strecke und war dadurch von Anfang an in das Straßenbahnnetz eingebunden. Ebenfalls in den Gründerjahren des Stadtteils wurde damit begonnen, die Rappachschule (Grund- und Hauptschule) zu bauen. Ab 1956 konnten die ersten Schülerinnen und Schüler in ihren Räumen unterrichtet werden, die gesamte Bauzeit erstreckt sich aber bis in die 60er Jahre.
Quellen:
Bausinger, H./Braun, M./Schwedt, H. (1959): NeueSiedlungen. Stuttgart.
Köhle-Hezinger, C. (1995): Neue Siedlungen – NeueFragen. Tübingen.
Weilimdorfer Heimatkreis e.V.: „Weilimdorfer Heimatblatt“ (26/2004).
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